Man sieht es dem Foto nicht an, aber es handelt sich tatsächlich um eine Nachtaufnahme. Ich bin bepackt mit Fotoausrüstung und Stativ mit dem Fahrrad von unserer Unterkunft in Groet bis Schoorl an Zee gefahren und von dort am Meer zu den Pfählen gelaufen. Gegen Mitternacht war ich dort. Der Himmel in Richtung Westen war noch deutlich erhellt. Die See war nicht stürmisch, aber doch recht bewegt.
Für die Aufnahme habe ich meine Mittelformatkamera Pentax 67 II verwendet, bestückt mit einem 55mm-Weitwinkelobjektiv ebenfalls von Pentax (entspricht etwa einem 24mm Kleinbild-Objektiv). Als Film (ja... damals!) benutzte ich einen Kodak T-Max 100 Schwarzweiß-Rollfilm. Mein Stativ habe ich so nah am Meer platziert, dass es bei einigen Wellen nasse Füße bekam – ebenso wie der Fotograf!
Die Zeiteinstellung der Kamera stand auf B (= bulb, Dauerbelichtung). Ich habe eine langgezogene Welle abgewartet und auf den Drahtauslöser gedrückt, bevor sie mich erreicht hatte. Nachdem die Welle wieder zurückgelaufen war, ließ ich den Auslöser los. So sind mehrere Aufnahmen mit verschiedenen Belichtungszeiten entstanden; bei der obigen betrug sie etwa 60 Sekunden bei Blende 11. Der Strand verläuft an dieser Stelle sehr flach, so dass – wie gesagt – langgezogene Wellen mich und mein Stativ umspülten. Und leider auch unterspülten, so dass das Stativ jedes Mal leicht absackte! In der Tat ist die obige Aufnahme nicht ganz scharf, was aufgrund der kurzen Brennweite zum Glück kaum auffällt.
Wieder zu Hause, habe ich den Film in meinem Labor entwickelt und weiterverarbeitet. (Für Laborfreaks: Es war eine ganz normale N-Entwicklung in Kodak Xtol 1+1. Auf Pushen oder Pullen reagiert der T-Max 100 nicht gut. Außerdem hat er einen so großen Dynamikumfang, dass man solche Manipulationen meist nicht braucht.) Das Negativ der obigen Aufnahme ist etwas überbelichtet, was aber zu einer sehr guten Schattenzeichnung in den Pfählen führt. Auch die Lichterzeichnung im Himmel ist noch voll da, ich musste sie aber beim Vergrößern des Negativs mit ein paar Tricks (z. B. Vorbelichten des Fotopapiers) heraus kitzeln.
Der fertige Abzug zeigt einige erstaunliche Details: Wie zu erwarten, ist aufgrund der langen Belichtungszeit trotz bewegter See kaum noch eine Wellenbewegung zu erkennen, und das Meer wirkt still und ruhig. Interessanterweise sieht man auf dem Foto etwas, was vor Ort nicht sichtbar war, nämlich die Spiegelung der Pfähle im Wasser! Für mich ist das ein sinnfälliges Beispiel dafür, wie subjektiv unsere Wahrnehmung ist: Was wäre, wenn wir ein völlig anderes Zeitempfinden hätten und eine Minute als Sekundenbruchteil wahrnähmen? Unsere Weltsicht wäre eine völlig andere.
Ich habe das Bild Infinity (Unendlichkeit) genannt. Einerseits wegen seiner enormen räumlichen Tiefe, andererseits aber auch, um die zeitliche Unendlichkeit, die in der langen Belichtung steckt, auszudrücken.
Infinity war 2006 ein Siegerfoto in der Lesergalerie des Fotomagazins
Schwarzweiß.